20070306

HEIMAT/kunde INTER/view

Rainer W. Sauer im Gespräch mit Charly Davidson

Vor einem viertel Jahrhundert machte er seine erste Radiosendung, damals in englischer Sprache für einen Radiosender in Italien. Mitte der 1980er Jahre engagierte ihn dann der Hessische Rundfunk als Moderator der inzwischen legendären 'Sounds vom Synthesizer' und Ende der 1980er Jahre wurde er dann zur Rocklegende, weil er mit der "Lounge Musik" ein eigenes Musikgenre erfand und weil sein Song "Bis die Tage (länger erden)" maßgeblich zum ENde der DDR beitrug: Charly Davidson, der von Geburt an auf den Namen Karl David Korff hört. Der 50-jährige ist somit schon über die Hälfte seines Lebens eine feste Größe in der deutschen Musik- und Radioszene. In Thüringen baute er nach der Wende das JenaFarm-Tonstudio auf, gründete das lokale Hörfunkprogramm RADIO JENA und ging vor kurzem als Inhaber eines Webradios mit ambitionierten Zielen ins WorldWideWeb auf Hörersuche. Sein 'ZONO Radio' wagt dabei die Konkurrenz zu etablierten Internetradios und Davidson setzt mit ZONO ganz auf Radiovielfalt. Jetzt fand er Zeit für ein Interview, in dem es auch um seine aktuelle Radiosendung 'Heimatkunde' und deren Ziele geht.

Frage: Eine Ihrer frühen Schallplatten heißt 'Kontaktaufnahme', das war 1982. Mehr als zweieinhalb Jahrzehnte später scheinen Sie immer noch auf der Suche nach dem Kontakt mit dem Hörer zu sien. Was ist heute anders als vor fünfundzwanzig Jahren?

Davidson: Max Goldt hat einmal gesagt: "Man kann ja nicht alles auf der Welt hochheben und gucken, ob da noch was drunter ist." Ich habe für die Platte damals wirklich intensiv recherchiert, war sogar im Vereinigten Königreich und hatte die seltene Gelegenheit mit der Science Fiction Ikone Arthur C. Clarke zu reden, der zu dieser Zeit dort an einem neuen Buch arbeitete. Später ist er ja nach Sri Lanka gezogen. Viele seiner Intentionen sind in die Platte eingeflossen. Die Grundtendenzen des Albums für die menschliche Zukunft sind die gleichen geblieben.

Im Fahrwasser ihres musikalischen Efolgs gab es auch Zeitungsartikel und Statements ihrerseits, wie zum Beispiel "Wie man die Menschen mit Musik zum Nachdenken über ihre Zukunft bringen kann". Hat das funktioniert und soll das auch bei Ihrem neuen Webradioprojekt so sein?

Als junger Gymnasiast wollte ich Astronom oder Astronaut werden, das hat sich bis heute in meinen Bücherregalen etabliert. Da ich leider viel zu wenig Ahnung von Physik habe und für Weltraumfahrten nicht fit genug bin, beschränkt sich mein Engagement auf die populär-wissenschaftliche Beschäftigung mit den Planeten und den Sternen und dem All. Deshalb hieß meine Band 'Begleitung', deshalb besuchte ich Clark, deshalb gibt es nun ein 'ZONO Radio'. Ob es funktioniert, Menschen mit Musik zum Nachdenken über ihre Zukunft bringen, kann ich auch heute nicht abschließend beantworten. Bei manchem scheint es zu klappen, bei anderen nicht. Im Radio hat so etwas normalerweise nichts zu suchen, beim 'ZONO Radio' ist das anders. Hier kann man zuhören und nebenbei etwas lernen.

Sie waren ein erfolgreicher Musiker, der Jahr um JAhr Platte um Platte veröffentlicht hat. Wie kam’s dazu, dass sie heute kaum noch Platten veröffentlichen?

Während der Ölkrise 1973 gab es mal eine gute Regelung: Man bekam nur dann eine neue Platte, wenn man eine alte in den Laden mitbrachte. Ich habe meinen Eltern dann irgendwelche Blasmusik-Platten gestohlen, um an meine Emerson, Lake & Palmer-LPs und T.Rex-Singles heranzukommen. Meine Eltern haben das nie gemerkt, weil sie damals gerade anfingen auf Compact-Kassetten umstellten. Ich selbst habe Platten gemacht bis zu meinem Umzug nach Thüringen 1991. Damals war ich etwas ausgebrannt, hatte zuvor exzessiv drei Jahre lang Musik produziert und war mit den Ergebnissen teilweise sehr unzufrieden. Ich sagte mir, dass ich neue Platten nur noch mache, wenn die 'alten' sich ausverkaufen. Das klappte danach aber doch wieder ganz gut, allerdings gilt dieser Grundsatz noch heute und deshalb arbeite ich intensiv an einem neuen Album mit Namen "TOR" und das kostet Zeit.

Heinz Rudolf Kunze, einer ihrer Konkurrenten im Deutschrock-Business, gegen den Sie ja auch schon mal zum Duell angetreten sind, wird mit dem Titel 'Die Welt ist Pop' am nationalen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest in Helsinki teilnehmen. Was denken Sie darüber?

Er sagt ja, dass er mit seinem Lied versucht habe, eine deutsche Stimmung zu beschreiben. Ich denke, er meint damit die Stimmung im letzten Sommer, das 'Sommermärchen', wie Sönke Wortmann es genannt hat. Gleichzeitig versucht er ein Sittenbild von Deutschland zu machen. Obwohl ich das Produkt nicht für besonders gelungen halte, hab ich es in 'Heimatkunde' vorgestellt.

Was wollen Sie in 'Heimatkunde' bewirken, was sind die Ziele?

Naja, ich kann zumindest radiotechnisch irgendwo in der oberen Hälfte der Zweiten Liga mitspielen, und das ist doch schon mal was, wenn man es mit den Jenaer Fußballern vergleicht. (Davidson lacht) Ich bin jetzt sehr lange dabei und es gibt viele Kollegen, die aus dem Gesichtsfeld verschwunden sind, die nichts mehr machen, die keine Sendungen mehr haben, mit denen ich Mitte der 1980er Jahre aber angefangen habe. Als Jugendlicher war Frank Laufenberg von SWF3 mein Vorbild. Den 'PopShop' und seinen 'RadioClub' habe ich immer ehrfürchtig verehrt und dachte: so gut wirst Du niemals werden. Ich muss zur Erklärung sagen, dass ich bereits zehn Jahre vor dem HR-Engagement für meine Freunde und Bekannten vom Schul-Fußballturnier und anderen Veranstaltungen Reportagen und simulierte Radiosendungen gemacht habe. Ende der 1980er Jahre sagte dann mal jemand zu mir "Ist Dir schon einmal aufgefallen, dass Du den Duktus von Frank Laufenberg hast?". Ich war baff und hörte mir seine alte Sendungen aus meinem Radioarchiv an. Es stimmte zwar nicht wirklich, aber ich hatte mich unerwartet in seine Richtung entwickelt. Nachdem ich über die Jahre eine Reihe von Spezialsendungen moderiert hatte, habe ich mich nach einer wöchentlichen Sendung gesehnt, in der ich ein breiteres musikalisches Spektrum abdecken kann, eben 'Heimatkunde'.

Ich kann mir aber auch durchaus vorstellen, dass ich 'Heimatkunde' als internationale Version mache, vielleicht für die USA. Da schaue ich übrigens schon mal eien ganzenTag fern, wenn ich da bin Neulich war ich in New York und habe eine Aufzeichnung des 'Sarah Silverman Programs' miterleben dürfen. Sarah Silverman spielt darin eine Version ihrer selbst, das fasziniert mich. Abgesehen davon ist Slverman am 01. Dezember geboren und so etwas vereint Menschen über Ozeane hinweg.


Sie sprechen im Vorspann in der Radio-'Heimatkunde' von musikalisch-literarischen Erkundungen in Ur-Deutsch. Wie ist das gemeint?

Den E-Mails zur Sendung kann ich entnehmen, dass einige Hörer diesen Begriff nicht verstehen oder ihn sich in die braune Ecke denken. Nazis, Rechte oder Skins sind überhaupt nicht ur-deutsch. genauso wenig wie Kommunisten, Linke oder Punks ur-russisch sind. Pünktlichket, Ordentlichkeit, Sauberkeit, Pedanterie. dies sind urdeutsche Attribute. Deutsche Musik kann durchaus typisch Deutsch sein wie Techno und Lounge-Musik beweisen (Davidson lacht nochmals) und Deutschland an sich ist das ur-deutscheste Land der Welt, nich wahr? Aber man sieht an den Reaktionen, dass ich schon wieder mal Menschen mit Musik zum Nachdenken gebracht habe. So etwas ist meist ungewollt, passiert mir aber nahezu täglich. Leider sage ich eben manchmal auch Dinge einfach so - in der Hoffnung, dass die Menschen, die das hören, damit richtig umgehen.

'Urdeutsch' bleibt also weiterhin Ihr Begriff für Musik aus Deutschland?

Selbstverständlich.

Herr Davidson, Sie zählen zu den intellektuellen literarischen Songwritern Deutschlands, gelten als Wortakrobat, Poet oder Sprachkünstler, lesen schon mal Tucholsky-Texte an der Universität Jena, anfangs erwähnten Sie Max Goldt, der in etwa Ihr Jahrgang ist und den Sie sehr verehren. Wie passt es da, dass sie gar kein Abitur haben?

Ja, das stimmt, aber das ist für mich kein Problem. Man kann auch ohne Allgemeinstudium belesen sein. Im Leben geht es letzten Endes nicht um einen schulischen Abschluss. Das Fegefeuer lässt sich durch Abitur und Promotion nicht beeinflussen, habe ich mir zumindest sagen lassen. Deutsch-Rock, wie ich ihn verstehe ist in gewisser Weise eine sehr offene Form das Kabaretts, das ist das Schöne daran. Man steht einfach nur da, aufder Bühne oder sitzt im Radiostudio und singt, rezitiert oder redet - man muss sich nur trauen. Irgendwo gibt es sicherlich Grenzen, wo die genau sind, weiß man vorher nie. Wenn man aber einen Funken Talent und ein wenig Gespür für den Irrwitz unserer Welt hat, dann wird man mit seinen Texten die Menschen auch unterhalten können.

Wie kam es zur Verehrung von Goldt?

Was Goldt angeht: ja, das trifft mich ins Herz. Der Neunzehn-Achtundfünfziger Jahrgang hat schon was. Ich sage immer: ich bin 19 Uhr 57 geboren, das geht noch. 19 UHr 58 ist auchnoch OK. Bei 19 Uhr 59 fängt es schon an, das ist gerade noch akzeptabel. Aber ab 19 Uhr 60 klappt das nicht mehr. Wer das versteht, versteht auch Goldt. Ich würde das, was er macht als Skuril-Humor bezeichnen. Schon bei Foyer des Arts habe ich mich in seine Wort-Kunst verliebt. Und als Titanic-Abonnent der 1990er Jahre sagen mir Titel wie 'Onkel Maxes Kulturtagebuch', 'Manfred Meyer berichtet aus Stuttgart' und 'Informationen für Erwachsene' natürlich etwas. Ich habe auch seine Platten, selbst seine eher seltenen Sachen wie 'Musik wird niemals langsam' oder 'Ende Juli, Anfang August'. Letztere ist streng limitiert auf 750 Stück und ich habe acht Stück davon, das ist immerhin mehr als 1 % der Auflage. In 'Heimatkunde' muss ich mich zügeln, diese Sympathie nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Deshalb bezeichne ich ihn auch nicht als "gesetzt" in meinem Programm.


"Gesetzt" heißt?

"Gesetzt" heißt ganz einfach, dass es Künstler und Interpreten gibt, die in jeder Sendung dabei sein können/dürfen, egal mit was. Das sind Leute wie Kraftwerk, Annette und Inga Humpe, Heiner Pudelko oder Andre Heller. Die haben so viel für DIE Deutsche Musik getan, dass sie einfach gesetzt sein müssen. Das ist sozusagen meine Rumpfmannschaft für jede 'Heimatkunde'-Sendung. Da gehören auch Ulla Meinecke oder aber Max Goldt dazu.

Heinz Rudolf Kunze, mal als Beispiel genannt,nicht?

Ich denke, dass alle deutschen Musiker eine eigene Art haben, ein Profil haben, die Deutsche Musik weiterzuentwickeln. Ich schaue mir das an, höre es mir an. Es gibt aber auch solche, die eher anglo-amerikanische Vorbilder haben. Zu letzteren zähle ich auch Kunze. Aber das heißt nicht, dass ich ihn nicht spielen würde.

Haben Sie einen Lieblingstitel, den Sie bei 'Heimatkunde' noch nicht gespielt haben?

Ja, ganz klar, denn ich mag ja auch so viele internationale Titel und habe mir selbst auferlegt, nur einen pro Sendung zu spielen, in der Rubrik 'Völkerkunde' - übrigens gab es auch Nachfragen wegen dieses Namens. Einer meiner großen Favoriten ist nach wie vor 'I suffer' von Naplam Death, ein 1 Sekunde langer Gitarrenaufschrei, auf dem mich einst Klaus Walter (Anm.: Moderator von 'Der Ball ist rund') aufmerksam gemacht hat. Den spiele ich aber nur, wenn ich einmal eine Sendung mache, die noch keinen 'Völkerkunde'-Song hat und eine Sekunde zu kurz ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

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